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Wie deutsche Verlage während COVID-19 ihre Leserzahlen steigerten

Nachrichtenverlage in Deutschland haben auf die Corona-Krise reagiert, indem sie ihre Leser – oft unter schwierigen Arbeitsbedingungen und mit reduziertem Personaleinsatz – ungebrochen mit ihrem Journalismus versorgt haben. Im Zuge dessen konnten viele eine wachsende Unterstützung von Seiten der Leserschaft beobachten. Der beachtliche Zuwachs der Leser- und Abonnentenzahlen, mit teilweise bis zu 300 Prozent Wachstum im Vergleich zur Zeit vor der Coronavirus-Krise, ging jedoch vielerorts mit einem Einbruch der Werbeeinnahmen einher. 

„Unser größtes Problem sind und waren die stornierten Anzeigenschaltungen in Print und Online. Wir haben darauf reagiert, indem wir zeitlich befristete Rabatte von bis zu 50 Prozent angeboten haben. Mit diesem Angebot wollten wir unsere Kunden zurückzugewinnen und als Initiative für uns und unsere Partner unter dem Claim ‚Lasst uns die Krise gemeinsam bewältigen‘ bewerben. Bisher sind wir mit den Ergebnissen zufrieden und sehen, dass unsere Kunden unseren Ansatz schätzen“, sagt Frank Unkelbach, Head of Digital Management bei Main-Echo.  

Der Einbruch der Werbeeinnahmen ging jedoch gleichzeitig mit einem Anstieg der Nachrichtennutzung und oftmals auch Zahlungsbereitschaft der Leser einher.

„Wie die meisten Verlage hatten wir während der Krise mit sinkenden Werbeeinnahmen zu kämpfen. Wenn wir 60 Tage vor Corona mit 60 Tagen während Corona vergleichen, dann ist die Zahl der täglich neuen Abonnenten um 60 Prozent gestiegen und die Kündigungsrate deutlich zurückgegangen, so dass wir in diesem Zeitraum netto 160 Prozent mehr Neuabonnenten generiert haben“, sagt Dr. Ruth Betz, Leiterin Digitale Transformation bei der Funke Mediengruppe.

Auch weiterhin entwickeln und erweitern Verlage auf der ganzen Welt ihre Konzepte rund um das Thema “Bezahlangebote”“. In diesem Beitrag haben wir einige Erfahrungen und Ansätze der 14 deutschsprachigen Verlage zusammengestellt, die Teil des „Reader Revenue Accelerator“-Programms des Facebook Journalism Projects waren. Vor dem Beginn der Corona-Krise generierten ihre Projekte, die durch den Accelerator unterstützt wurden, unter anderem mehr als 7,4 Millionen Euro an Lifetime Value, mehr als 35.000 neue Bezahl-Abonnenten sowie mehr als 125.000 Newsletter-Abonnenten und Website-Registrierungen. Das ergab eine Analyse der Abschlussberichte der Teilnehmer, die unserem Accelerator-Partner International Center for Journalists (ICFJ) zur Verfügung gestellt wurden.

Die Teilnehmer nutzten die Strategien, die sie während des Accelerator-Programms entwickelt hatten, um sich an die neue Situation im Zuge der Corona-Pandemie anzupassen und neue Ziele festzulegen. Hier eine Zusammenfassung der Erkenntnisse einiger Verlage:

1. Bereichsübergreifende Teams sind erfolgreicher 

Die Coronavirus-Krise hat Auswirkungen auf alle Bereiche der deutschen Medienunternehmen: Sie führte zu Änderungen der redaktionellen Arbeitsabläufe und Prioritäten in der Berichterstattung und brachte Marketingpläne durcheinander. Die Teams, die ihr Abogeschäft ausbauen konnten, haben schnell reagiert und Disziplinen aus dem gesamten Verlagshaus zusammengebracht, um ein kreatives Team aus Redaktion, Analytik, Marketing, Produkt und Social Media zu schaffen. 

„Das Accelerator-Programm hat unser Mindset und unsere Zusammenarbeit nachhaltig verändert. Bis heute kommuniziert und arbeitet unsere Accelerator-Gruppe zusammen wie während des  Programms“, so Dr. Ruth Betz von der Funke Mediengruppe.

Bereits vor COVID-19 hatte Funke mit Erkenntnissen aus dem Accelerator-Programm mehr als 27.000 neue Bezahlabonnenten gewinnen können – deutlich mehr als in der eigentlichen Zielsetzung geplant. Möglich war dies durch ein cross-funktionales Team, das eine wesentliche Aufgabe hatte: möglichst viele Tests durchzuführen, um die Anzahl der täglichen Abo-Abschlüsse zu erhöhen. Auch wenn wir den Erfolg der Funke Mediengruppe ausführlicher zu einem späteren Zeitpunkt in einer Fallstudie beleuchten werden – dass cross-funktionale Teams einen großen Unterschied machen können, erscheint bereits eine bestätigte Erkenntnis zu sein.

Diesem Aspekt stimmen auch andere Publisher zu.

„Man muss die Silos einreißen. Wir haben beispielsweise eine bereichsübergreifende Arbeitsgruppe etabliert. Seitdem ist es absolut normal geworden, dass wir über verschiedene Abteilungen hinweg miteinander arbeiten“, berichtet Thomas Webel, Head of Digital bei Oberpfalz Medien.

Während des Accelerator-Programms hat sich jeder teilnehmende Verlag jede Woche für eine Stunde mit einem cross-funktionalen Team und einem Coach getroffen. Viele dieser Teams arbeiten auch heute noch, ohne ihren Coach aus dem inzwischen beendeten Programm, weiterhin zusammen. Um diese interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb meist noch stark traditionell geprägter Strukturen zu fördern, ist es nach ihrer Erfahrung hilfreich klare Ziele zu setzen, Anpassungen an diese Ziele klar zu kommunizieren und die Teams für diese Ziele auch zu motivieren. 

Abteilungsübergreifende Ziele waren auch bei den Nürnberger Nachrichten ein wichtiger Treiber der Zusammenarbeit.

„Wir sind stolz darauf, dass nun immer mehr Kollegen aus all unseren Abteilungen ein gemeinsames Verständnis dafür haben, wie wir ein erfolgreiches digitales Abonnementgeschäft aufbauen können“, sagt Barbara Zinecker, verantwortlich für Audience Development bei den Nürnberger Nachrichten.

2. Mit dem beginnen, was man hat – und sich kontinuierlich weiterentwickeln 

Da sie bereits regelmäßig zusammengearbeitet hatten, konnten die cross-funktionalen Teams in den Verlagen viel schneller in Aktion treten – und haben das auch im März getan, als die Pandemie in Deutschland zunehmend Wirkung zeigte.

„Eine engere Zusammenarbeit von Redaktion, Vertrieb und Digital-Spezialisten half uns, mit unseren Content- und Abonnementangeboten schnell auf die neue Situation zu reagieren“, sagt Julian Mager, Digital Marketing Manager bei der Main-Post. 

Es war auch diese Art der Zusammenarbeit, die ihren Accelerator-Kollegen in Nürnberg zu konkreten Umsätzen führte. Dort hatten Redaktion und Vertrieb schnell reagiert und gemeinsam veranlasst, dass im Umfeld von Artikeln zum Thema Coronavirus prominent auf die Abo-Angebote der Nürnberger Nachrichten (Print Abo und ePaper) hingewiesen wurde.

“Nicht zuletzt dadurch konnten wir eine Steigerung von 20 bis 30 Prozent bei den Abos für unsere Bezahlprodukte und eine Verbesserung von 10 Prozent bei der Kündigerrate erzielen“, berichtet Barbara Zinecker. 

Aber an welchen Schrauben sollten die Teams nun weiterdrehen?

„Wir denken mehr aus der Sicht des Kunden. Was braucht der Kunde von uns? Unsere Journalisten haben sich in der Krise an neue Formate wie Podcasts und Videos gewöhnt und sich mit ihnen vertraut gemacht. Rund 2.000 Menschen hören täglich unseren neuen Corona-Podcast. Die Produktion dieser Art von Inhalten hat deutlich zugenommen, und unsere Leser schätzen sie auch“, sagt Lena Beneke von den Ruhr Nachrichten.

Das Team der Nürnberger Nachrichten teilt diese Erfahrung. Mit interdisziplinärer Zusammenarbeit und agilen Arbeitsmethoden hat es geschafft, binnen kurzer Zeit seine Newsletter-Produkte auszubauen und die Anzahl der Empfänger seit November mehr als zu verdreifachen. 

Dabei haben in einem Projekt zur Optimierung der technischen Voraussetzungen (darunter Implementierung ins Content Management System), das im Anschluss an den Accelerator gefördert wurde, auch zwei ganz grundsätzliche Learnings aus dem Programm geholfen, berichtet Barbara Zinecker:

“Du solltest mit dem loslegen, was du hast! Wir haben im Accelerator gelernt, uns weniger auf das was fehlt zu konzentrieren und uns stattdessen voll auf unsere Möglichkeiten zu fokussieren. Da wir noch kein rein digitales Paid Content Angebot haben, setzen wir alles daran, möglichst viele Registrierungen zu generieren, um diese loyalen und aktiven Leser dann alsbald leichter in zahlende Abonnenten umwandeln zu können.” 

3. Dem Leser immer einen Schritt voraus sein

Die Verlage des Accelerator-Programms profitieren davon, sich darauf zu fokussieren, ihren Leser immer einen Schritt näher an ihre Medienmarke heranzuführen und so enger an sie zu binden. Sie stellen damit ihre “+1-Strategie”, in Anlehnung an das von Yasmin Namini, Leiterin und Coaching des Accelerator-Programms, unterrichtete Konzept, sicher. Diese sieht vor, sich kontinuierlich darüber Gedanken, wie die eigenen Leser eine sich stetig verstärkende Verbindung mit der Medienmarke aufbauen können – durch Empfehlungen von Inhalten, E-Mail-Anmeldungen, Aufforderungen zur Registrierung und letztendlich Abo-Angebote. “Die +1-Strategie hat uns so klar eingeleuchtet, dass wir sie schnell mit all unseren Kollegen geteilt haben. Wir haben die schrittweise Herangehensweise heruntergebrochen und daraus Handlungspunkte für alle Abteilungen abgeleitet, so auch für die Einführungen unserer Newsletter”, sagt Ruth Betz von Funke

„Gelegentliche in treue Leser zu wandeln und Abonnenten dauerhaft zu halten sind zwei Themen, an denen wir derzeit arbeiten“, so Julia Morein von der Rheinischen Post

Wie viel frei zugänglicher Inhalt, auf die Leser ohne zu zahlen zugreifen können, ist genug, um sie schließlich zum Abschluss eines Abonnements zu bewegen und nicht zu viel, als dass sie glauben, alles sei kostenlos zu bekommen? Es ist ein schmaler Grat für Verlage, herauszufinden, wie sie unbekannte Leser zu registrierten oder sogar zahlenden Kunden machen können. Hierbei gibt es keine einfache Antwort darauf, welche Inhalte hinter einer Paywall „versteckt“ sein sollten. Die Verlage, die mit ihrer Strategie am erfolgreichsten waren, sind gewillt, ihre Strategie immer wieder anzupassen, bis sie die richtige Balance für ihre spezifische Marke in ihrem spezifischen Markt gefunden haben (und diese dann weiterhin im Blick behalten und testen). 

“Wir haben noch kein Bezahlangebot gelauncht aber führen unsere Leser gerade schrittweise heran, um ihnen dann im Spätsommer erfolgreich ein digitales Abo anbieten zu können. Das Konzept beinhaltet frei verfügbare Newsletter ebenso wie an eine kostenlose Registrierung geknüpfter Content. Insgesamt haben wir über die einzelnen Schritte so die Anzahl der identifizierten und ansprechbaren Leser binnen weniger Wochen von 10.000 auf mehr als 30.000 erhöhen können”, berichtet Thomas Webel, Head of Digital bei ‘Der neue Tag’ der Oberpfalz Medien

4. Der Newsletter als Treiber für Registrierungen und Abos 

Vor Beginn der Corona-Krise hat Der neue Tag mithilfe von E-Mail-Best-Practices aus dem Accelerator zwei Newsletter gestartet. Als die Pandemie begann, hat das Team schnell einen zusätzlichen Newsletter mit Covid-19 Schwerpunkt aufgesetzt. 

„Innerhalb weniger Wochen haben wir damit rund 4.000 neue Newsletter-Abonnenten hinzugewonnen”, berichtet Thomas Webel.

Das Team arbeitet jetzt an einem Konzept, diesen Newsletter von einem „One-Hit-Wonder“ in ein nachhaltiges Produkt umzuwandeln. Dabei nimmt Der neue Tag unter den gewonnenen Newsletter-Empfängern, ebenso wie das Team der Nürnberger Nachrichten, ein hohes Potential für zahlende Abonnenten an. Eine Annahme, die Funke bereits bestätigen kann. Nach nur wenigen Monaten bietet das Unternehmen nun weit mehr als 20 Newsletter (Marken, Themen, Regionen und COVID-19) an, deren Empfänger nachweislich deutlich leichter in ein Bezahlabo überführt werden können, als andere User der Portale. Das Team verspricht sich von dieser Nutzergruppe auch eine geringere Kündigungsrate, für eine Datenerhebung hierzu ist es allerdings noch zu früh.

„Wir haben eine interdisziplinäre Einheit gebildet, um unser unternehmensweites Newsletter-Konzept weiter zu verbessern. Aufgrund dessen unmittelbaren Erfolgs kamen bereits zwei neue Vollzeitmitarbeiter hinzu“, so Ruth Betz

5. Den Mut haben, neue Ansätze auszuprobieren

Wie viele andere Verlage weltweit, beschlossen auch Main-Echo und Straubinger Tagblatt, ihre Inhalte zu Beginn der Corona-Pandemie kostenlos zugänglich zu machen. Beim Straubinger Tagblatt führte das Angebot zu über 11.000 Neuanmeldungen. Beim Main Echo hat ein sechswöchiges Sonderangebot mehr als 500 neue Abonnenten generiert – fast so viele wie in den zwei Jahren zuvor.

„Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Deshalb haben wir unsere Premium-Inhalte nach der Registrierung für jedermann kostenlos zur Verfügung gestellt“, so Andreas Seidl, geschäftsführender Redakteur des Verlags. 

Das Wachstum des Straubinger Tagblatts auf dem Höhepunkt der Corona-Krise baute auf dem stetigen Anstieg der Registrierungen im Jahr 2019 auf. Bis zum Ende des zweiten Quartals 2020 haben sich laut Seidl mehr als 38.000 Menschen für die Verlagsprämie idowa.plus registriert.

„Wir freuen uns sehr, dass diese Abonnenten weitaus weniger stark abwandern, als wir erwartet hatten”, sagt Frank Unkelbach, Head of Digital Management bei Main-Echo. “Jetzt, nach dem ersten Monat der Vollzahlung, erkennen wir immer noch eine sehr solide Verbleiberate, die uns glauben lässt, dass wir 50 Prozent dieser zahlenden Abonnenten dauerhaft halten können. Wir stellen nun  außerdem auch ein stetiges Wachstum bei unseren regulären kostenpflichtigen Abonnements fest – auf einem viel höheren Niveau als im letzten Jahr“

Aber wie können Verlage nun all diese neuen Abonnenten halten? 

Verlage weltweit, darunter auch die oben genannten Verlage, arbeiten bereits jetzt daran, ihre neue, zahlende Leserschaft auch nach der Krise noch lange zu halten. Hier finden Sie eine ausführliche Analyse zur Retention-Strategie der Verlage des Accelerator-Programms.

Über die Ergebnisse

In 2019 nahmen erstmals 14 deutschsprachige Nachrichtenorganisationen an der „Reader Revenue Accelerator“-Workshopreihe des Facebook-Accelerator-Programms teil. Ein Jahr nach Start des Programms kamen die teilnehmenden Verlage nun virtuell erneut zusammen, um sich zu ihren Erkenntnisse aus dem Stipendienprogramm und ihre Erfahrungen in der Coronakrise  auszutauschen. Accelerator-Coaches gaben während dieser virtuellen Sitzung einige zusätzliche Einblicke in die Bereiche Analytik, Produktentwicklung und Marketing. 

Die Ergebnisse für diesen Beitrag wurden von den Verlagen bereitgestellt. 

Falls Sie mit einem der Verlage aus diesem Beitrag in Kontakt treten möchten, oder Fragen haben, senden Sie gerne eine E-Mail an Accelerators@FB.com. Wir vernetzen Sie sehr gerne mit anderen Publishern, die intensiv daran arbeiten, die Zukunft des Lokaljournalismus zu sichern.

Nach der positiven Resonanz der Teilnehmer soll das Accelerator-Programm in diesem Jahr fortgesetzt werden. Der zweite Durchgang des Programms musste allerdings aufgrund der Coronavirus-Krise bis auf Weiteres verschoben werden. Weitere Informationen zum Accelerator-Programm finden Sie auf den Seiten des Facebook Journalism Project

Das Accelerator-Programm

Das im Rahmen des Facebook Journalism Project durchgeführte Accelerator-Programm unterstützt Nachrichtenverlage beim Aufbau nachhaltiger Geschäftsmodelle. Jeder Accelerator wird vom Facebook Journalism Project (FJP) finanziert und organisiert. Über einen Zeitraum von drei Monaten finden praxisorientierte Workshops statt, die von Medien-Branchenexperten geleitet werden. Teilnehmer erhalten zudem regelmäßig Input zu bewährten Geschäftspraktiken sowie finanzielle Zuschüsse, die von gemeinnützigen journalistischen Organisationen verwaltet werden. Executive Director des Accelerator-Programms ist Tim Griggs, ein unabhängiger Consultant/Berater und ehemaliger leitender Redakteur der New York Times und der Texas Tribune.

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